A. Aktuelle politische Diskussion zu Flucht und Migration in Deutschland
Die gegenwärtige politische Diskussion in Deutschland zu dem, was als „Migrationskrise“ beschrieben wird, zeichnet sich dadurch aus, dass Tabubrüche mehr und mehr salonfähig zu werden scheinen. Angesichts überforderter Kommunen bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen wird gefordert, die Zuwanderung zu stoppen, Nichtbleibeberechtigte abzuschieben, aber auch das Versorgungsniveau für Flüchtlinge zu senken und in Einzelfällen Sozialleistungen zu streichen.1 Diese Forderungen kommen nicht mehr nur von Parteien am rechten und linken politischen Rand,2 sondern auch von den Regierungsparteien und der CDU/CSU. Eine besonders markante und weitgehende Forderung ist diejenige des stellvertretenden Geschäftsführers der CDU/CSU im Bundestag, Thorsten Frei, das Individualrecht auf Asyl, so wie es in Art. 16a Abs. 1 GG enthalten ist, vollkommen abzuschaffen und durch eine Kontingentlösung zu ersetzen.3 Damit würde eine bestimmte Zahl von Flüchtenden ins Land gelassen, diejenigen, die an der Grenze stehen, würden aber abgewiesen.
B. Historische Dimension der Diskussion
Dass es in der deutschen Diskussion zu Flucht und Asyl bisher eindeutige Tabus gab, hängt mit der deutschen Geschichte zusammen. Deutschland kannte, wenn wir ins 19. Jahrhundert zurückblicken, vor allem die Auswanderung. Um nur ein markantes Beispiel zu nennen: Nach dem Scheitern der Paulskirchenverfassung von 1848, mit der sehr viele Hoffnungen verbunden gewesen waren, begann eine dem Exodus von 1933 in Zahlen vergleichbare „Verfassungsemigration“, bei der etwa Baden, Mecklenburg und Württemberg 5% ihrer Bevölkerung verloren.4 Im 20. Jahrhundert führten die beiden verlorenen Weltkriege zu Massenrückwanderungen; Deutsche sahen sich nach dem Ersten Weltkrieg gezwungen, Gebiete, die Deutschland abtreten musste, wie etwa das Elsass, zu verlassen.5 Nach dem Zweiten Weltkrieg waren insbesondere aus den Ostgebieten des Deutschen Reichs Millionen von Menschen auf der Flucht in den Westen – ein über lange Zeit weitgehend verschwiegenes, in der Gegenwart aber mit Erinnerungsbüchern wieder ins Gedächtnis gerufenes Leid.6 Vor allem aber ist im kollektiven Gedächtnis die Ungerechtigkeit der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung verankert, die um des Überlebens willen darauf angewiesen war, außerhalb Deutschlands Zuflucht zu finden. Gerade dieser traumatische Teil der Geschichte macht die gegenwärtige Diskussion zu Flucht und Migration in Deutschland vielschichtiger und belasteter, als sie vielleicht in anderen Ländern ist.
Schuld und Verantwortung haben sich im Grundgesetz unmittelbar niedergeschlagen. So wurde 1949 in Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG ein an keinerlei Bedingungen geknüpftes „Recht auf Asyl für politisch Verfolgte“ verankert,7 das weiter geht als alle Normierungen, die es zu dieser Zeit in internationalen Erklärungen und Verträgen gab. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte spricht nur von einem „Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen“;8 die Europäische Menschenrechtskonvention enthält hier einen blinden Fleck. Die Genfer Flüchtlingskonvention bestimmt allgemein Qualifikation und Rechtsstellung von Flüchtlingen, gewährt aber selbst kein individuelles Recht auf Asyl.9 Die Besonderheit der Regelung in Deutschland war dagegen, dass auf der Ebene der Verfassung – nicht nur in der Form eines Gesetzes10 – ein Individualgrundrecht verankert und dieses prozedural durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG abgesichert wurde.11 Nach der ursprünglichen Regelung sollte jeder und jede politisch Verfolgte nach Deutschland kommen und sein oder ihr Recht auf Asyl gerichtlich geltend machen können; damit war so auch ein Bleiberecht während des Verfahrens verbunden.
Allerdings wurde auch in Frankreich im Jahr 1946 in die Präambel zur Verfassung der 4. Republik eine Bestimmung aufgenommen, die gleichermaßen ein Recht auf Asyl verbürgte: „Tout homme persécuté en raison de son action en faveur de la liberté a droit d’asile sur les territoires de la République.“12 Rechtsschutz war zur Durchsetzung dieser Garantie allerdings nicht vorgesehen. Zu einem umfassenden verfassungsrechtlichen Schutz war es noch ein weiter Weg. Im Jahr 1958 wurde die Präambel der Verfassung von 1946 in die neue Verfassung über einen Verweis integriert. Und erst im Jahr 1993 judizierte der Conseil Constitutionnel, dass die Bestimmung auch Verfassungsrang habe und dass daraus, wenn auch kein individueller Anspruch auf Einreise, so doch ein Recht, um Asyl zu bitten, abzuleiten sei. Damit war auch die Garantie verbunden, dass ablehnende Entscheidungen vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden könnten.13
In Deutschland dagegen gestaltete man das Asylrecht schon 1949 bewusst sehr generös aus,14 da man dies als Akt symbolischer Wiedergutmachung verstand; dies wurde auch beim Prozess der Verfassungsgebung bewusst hervorgehoben. So erklärte der Vorsitzende des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates Carlo Schmid, auch wenn man eventuell „den Falschen“ ein Recht auf Asyl gewähre, so sei dies aufgrund der historisch notwendigen Großzügigkeit kein Problem.15
Eine Bezugnahme zur in Art. 1 Abs. 1 GG normierten Menschenwürde findet sich im Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 S. 2 a.F. GG dagegen nicht; das Recht wurde auch erst einmal vergleichsweise wenig genutzt und führte drei Jahrzehnte lang in der verfassungsrechtlichen Diskussion und auch in der Praxis eine Schattenexistenz.16 Erst 1980 stellte das Bundesverfassungsgericht einen Bezug zwischen dem Recht auf Asyl und der Menschenwürde her. In einem Fall zum Wirtschaftsasyl, in dem das Gericht aufgerufen war, die Voraussetzungen für die Asylberechtigung näher zu definieren, führte es aus: „Voraussetzungen und Umfang des politischen Asyls sind wesentlich bestimmt von der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, die als oberstes Verfassungsprinzip nach der geschichtlichen Entwicklung des Asylrechts die Verankerung eines weitreichenden Asylanspruchs im Grundgesetz entscheidend beeinflusst hat.“17 Das ist ein Schritt von zentraler Bedeutung, den das Bundesverfassungsgericht hier vollzieht: Danach geht es beim Asyl nicht „nur“ um Leib und Leben und Freiheit – wobei zur Freiheit auch das Recht auf freie Religionsausübung und ungehinderte berufliche und wirtschaftliche Betätigung gezählt wird18 – sondern darüber hinaus um Würde.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts legen drei Begründungsmuster für die Verankerung des Rechts auf Asyl in der Menschenwürde nahe.
Zum einen ist die Referenz zur Geschichte so zu deuten, dass eine Verfolgung wie im NS-Regime eine Verletzung der Menschenwürde darstellt,19 sodass die Abhilfemaßnahme – die Gewährung von Asyl – nicht ohne diesen historischen Bezugspunkt interpretiert werden kann.
Zum anderen wird staatliche Verfolgung, die auf Diskriminierung beruht, gebrandmarkt: Kein Staat habe das Recht, „Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder zu verletzen, die allein in seiner politischen Überzeugung oder religiösen Grundentscheidung oder in unverfügbaren, jedem Menschen von Geburt an anhaftenden Merkmalen“ liege.20
Und schließlich wird die Verletzung der Menschenwürde mit einer bestimmten Schwere eines Eingriffs in Verbindung gebracht. So heißt es in einer späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass Einschränkungen der Religionsausübung und ungehinderten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung nur dann „ein Asylrecht … begründen [könnten], wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben.“21
Dagegen wird nicht auf die sonst in der deutschen Rechtsdogmatik übliche „Objekttheorie“ abgestellt,22 obwohl dies, gerade wenn Flüchtlinge auf Statistiken reduziert und zur politischen Manövriermasse werden, naheliegend gewesen wäre.
Aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts ist die Einbettung des Asylrechts in das Menschenwürdekonzept bedeutungsvoll, da die Menschenwürde als „unantastbar“ und damit – anders als in anderen Rechtsordnungen23 – als absolut und somit nicht im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einschränkbar verstanden wird. Zudem darf weder der Gesetzgeber noch der Verfassungsgesetzgeber am Menschenwürdegrundsatz rütteln, da Änderungen die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG entgegensteht. Diese ist allerdings aus demokratietheoretischen Gründen – schließlich bekommt ein Richterkollegium eine Vetomacht gegenüber einer durch Wahl legitimierten Zweidrittelmehrheit – eng auszulegen.24
Dieses auf der Menschenwürde aufbauende, generös ausgestaltete und von grundsätzlich allen Menschen – außer den eigenen Bürgerinnen und Bürgern – gerichtlich einforderbare Asylrecht ist das historische Urgestein im Grundgesetz; Christian Tomuschat bezeichnet es als Ausdruck des „deutschen Verfassungsoptimismus“.25 Mittlerweile muss man aber schon einige Schichten freilegen, um es in dieser Form erkennen zu können. Denn so, wie es einst gedacht war, existiert es nicht mehr.
In den 90er Jahren, als das Recht auf Asyl nicht mehr nur in Einzelfällen, sondern massenweise in Anspruch genommen wurde,26 war es mit der von Carlo Schmid beschworenen Generosität und Akzeptanz des Sich-Irrens vorbei. Das Recht auf Asyl wurde auf der Grundlage eines von allen politischen Parteien getragenen Kompromisses „reformiert“ oder, wie die Gegner der Reform behaupteten, abgeschafft.27 Nunmehr ist ihm im Grundgesetz mit Art. 16a GG ein eigener Artikel gewidmet, der zwar den Grundsatz, das Recht auf Asyl politisch Verfolgter noch enthält, der aber in den weiteren vier Absätzen Konkretisierungen und weitgehende Einschränkungen formuliert; im Wesentlichen geht es um eine restriktive Auslegung mit Blick auf die Einreise aus sicheren Drittstaaten sowie eine Reduktion des Rechtsschutzes.28
Das Bundesverfassungsgericht hat die Reform von 1993 passieren lassen und darin keinen Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen – eine bis heute kontroverse Entscheidung.29 So nimmt es zwar auf seine älteren Entscheidungen, in der die Verankerung des Asylrechts in der Menschenwürde herausgearbeitet wurde, Bezug, führt dann aber sehr schlicht aus:
„Daraus läßt sich indes nicht der Schluß ziehen, daß das Asylgrundrecht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG gehört. Was dessen Gewährleistungsinhalt ist und welche Folgerungen sich daraus für die deutsche Staatsgewalt ergeben, ist eigenständig zu bestimmen.“30
Dies bedeutet eine spitzfindige Unterscheidung, die zu begründen das Gericht nicht für nötig hält – das Asylgrundrecht ist in der Menschenwürdegarantie verankert, unterfällt aber nicht ihrem Gewährleistungsinhalt. Es geht also um eine Art „Menschenwürdegarantie light“, die von der Ewigkeitsgarantie ausgenommen und damit änderbar ist.31 Ändern umfasst auch Abschaffen; das Bundesverfassungsgericht hält dies in seiner Entscheidung in einem Obiter Dictum fest.32
In der historischen Entwicklung kann man folglich einen Dreischritt erkennen – von der generösen Regelung mit Symbolcharakter in den späten 40er Jahren als Ausdruck von Schuld und Verantwortung über die einschränkende, die europäische Gesamtverantwortung in den Vordergrund stellende Regelung von 1993 bis zur Gegenwart, in der pragmatische Ansätze die Idee der historischen Verantwortung immer mehr in den Hintergrund drängen.
C. Die Menschenwürdegarantie und die Nöte der Fliehenden
Nun ist aber die Menschenwürdegarantie nicht nur von Bedeutung für die Entscheidung über die Gewährung oder Nicht-Gewährung von Asyl. Auch wie Asylsuchende dann, wenn sie im Land sind, behandelt werden, rührt an das in Art. 1 Abs. 1 GG normierte Menschenbild. Dabei geht es um die Verantwortung des Staates für das Existenzminimum all jener, die sich auf seinem Territorium befinden und damit insbesondere auch um die Frage der Gleichbehandlung zwischen jenen, die von außen kommen, und jenen, die schon immer da waren und damit zwischen den Flüchtlingen und den Staatsbürgerinnen und -bürgern. So heikel und schwierig es auch hier ist, adäquate Lösungen zu finden, so sind doch diese Fragen, anders als die Frage der Asylgewährung an sich, zumindest nicht historisch aufgeladen.
Das weichenstellende Urteil des Bundesverfassungsgerichts stammt aus dem Jahr 2012.33 Darin stellt es fest, dass das aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG ableitbare und nicht abänderbare Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabhängig vom Aufenthaltsstatus gilt. Das Urteil bezieht sich auf ein Urteil aus dem Jahr 2010 zur Absicherung des Existenzminimums in der Menschenwürde34 und erläutert, dass die dort gemachten Ausführungen auch auf alle ausländischen Staatsangehörigen, die sich im Inland aufhalten, Anwendung finden.35 Die Höhe der Leistungen ergebe sich nicht aus dem Grundgesetz, sondern sei durch den Gesetzgeber festzulegen.36 Gerichtlich vom Bundesverfassungsgericht lasse sich überprüfen, ob die Leistungen evident unzureichend sind und – und dies ist der „procedural turn“ – ob die Leistungen „nachvollziehbar und sachlich differenziert“ und damit insgesamt tragfähig begründbar sind.37 Dem Gesetzgeber verbleibt nach dieser Rechtsprechung ein Ermessen, ob er Gutscheine, Sachmittel oder Barmittel verteilt, sei es pauschal, an einen Warenkorb orientiert oder entsprechend der einzeln nachzuweisenden Bedarfe.38 Allerdings ist das soziokulturelle und das physische Existenzminimum dabei als eine Einheit zu sehen; Ersteres kann nicht abgespalten und Letzteres erhalten werden.39
Das Gesetz zur Regelung der Versorgung der Asylbewerber, das die Leistungsgewähr über längere Zeit nicht den gestiegenen Kosten angepasst hat, wird vor diesem Hintergrund für verfassungswidrig erklärt. Zudem – und dies baut eine hohe Hürde für gesetzgeberische Reformen auf – stellt das Bundesverfassungsgericht eindeutig klar: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“40 Hier wird nun der absolute Charakter der Menschenwürde explizit gegen mögliche Erosionen von Ansprüchen in Stellung gebracht.
Die Menschenwürde spielt aber nicht nur beim „Kommen“, beim Ins-Land-Lassen, und beim „Bleiben“, bei der Versorgung in Deutschland, sondern auch beim „Gehen“ eine Rolle, wenn rechtlich zu prüfen ist, ob die Ausreise erzwungen oder eine Abschiebung vorgenommen werden darf. Auch bei dem Recht, sich gegen eine Abschiebung zu wehren, ist die Menschenwürde der zentrale Bezugspunkt, würde dem Betroffenen in dem Land, in das er verbracht werden soll, Folter oder unmenschliche Behandlung drohen.41 Hier gibt es einen Gleichlauf zwischen der auf Art. 1 Abs. 1 GG gestützten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der auf Art. 3 EMRK gestützten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.42
D. Wertungswidersprüche und Dissonanzen in der Rechtsprechung
I. Menschenwürde als Element zur Einhegung des Diskurses
Die Menschenwürde in Migrations- und Asylfragen hervorzuheben hat eine zentrale kommunikative Funktion in der allenthalben zu beobachtenden Verrohung des Diskurses. So bezeichnete etwa Matteo Salvini, als er noch italienischer Innenminister war, aus Seenot gerettete Flüchtlinge als eine „Ladung Menschenfleisch“; der ehemalige US-Präsident Trump verunglimpfte Immigranten ohne Papiere als „Tiere“, als „Mörder und Diebe“, die „unser Land infizieren.“43 Derartiges Denken als inakzeptabel zu brandmarken, war der Sinn der Aufnahme der Menschenwürdegarantie ins Grundgesetz.
II. Menschenwürde als Element zur Begrenzung des Diskurses
Zugleich aber – und dies ist die negative Seite – bedeutet die Verankerung des Asylrechts in der Menschenwürde eine Dialogbeendigung. Wird die Menschenwürde ins Spiel gebracht, sind Gegenpositionen nicht mehr vertretbar. Daniel Thym spricht in diesem Zusammenhang von einer „überbordende[n] Moralisierung, die Gegenmeinungen ausgrenzt“.44 Das erschwert die Reformdiskussion. Wie soll die Politik über ungewollte Anreizfunktionen der in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten hohen Sozialleistungen für Asylbewerber nachdenken, wenn das Verfassungsgericht mit seiner Aussage, das Existenzminimum lasse sich nicht migrationspolitisch relativieren, einen Schlusspunkt unter jede Debatte setzt? – Wendet sich die Diskussion dennoch gegen das Dictum aus Karlsruhe, wird damit zugleich auch die Autorität des Gerichts untergraben. Korrigieren kann dies niemand – auch das Gericht nicht. Dies ist anders als bei nicht auf die Menschenwürde bezogenen Festlegungen. Und dies ist ein Problem.
III. Unterschiedliche Gewichtung physischer Not als Element der Menschenwürde
Unbefriedigend ist auch der Wertungswiderspruch, einerseits mit der Beschränkung auf „politische Verfolgung“ ein Recht auf Asyl aus wirtschaftlicher Not im Herkunftsland abzulehnen – und dies ist völliger Konsens -, andererseits aber in einer nicht ausreichenden Versorgung im Inland einen Würdeverstoß zu sehen. Dieser Wertungswiderspruch wird noch dadurch verschärft, dass das aus dem Sozialstaatsprinzip und der Menschenwürdegarantie abgeleitete Existenzminimum vergleichsweise hoch ist und jedenfalls deutlich darüber hinausgeht, was die Menschen in den meisten der Fluchtstaaten zur Verfügung haben. Auch wenn man die Relativität des Existenzminimums und die Bedeutung der soziokulturellen Integration anerkennt, lässt sich doch der grundsätzliche Wertungswiderspruch nicht auflösen: Das Asylrecht ist in der Menschenwürde verankert, die Menschenwürde wird als verletzt angesehen, wenn man kommt und hungert, und doch bekommt der Hungernde kein Asyl. Das kann nicht stimmig sein!
Betrachtet man die Menschenwürde als absolut, lässt sich auch nicht argumentieren, Menschenwürde bedeute im fernen Ausland etwas anderes als im Inland.
IV. Einschränkung der Ewigkeitsgarantie zur Absicherung der Menschenwürde
Rechtlich unterscheidet sich die Garantie der Menschenwürde von sonstigen Grundrechtsgarantien dadurch, dass erstere durch die Ewigkeitsgarantie abgesichert ist. Würde man argumentieren, das Recht auf Asyl sei ein Ausfluss der Menschenwürde, wäre weder eine Abschaffung noch eine Reform überhaupt denkbar, ohne eine neue Verfassung auszuarbeiten. Dieser Sichtweise ist, wie ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht 1996 entgegengetreten. Es hat dafür aber keine überzeugende Begründung gefunden, mehr noch, es hat überhaupt keine Begründung gegeben. Damit hat es aber den mit der Menschenwürdegarantie verbundenen Schutz aufgeweicht.
V. Mehrwert einer Menschenwürde-Argumentation?
Man mag sich fragen, ob so mit der Bezugnahme auf die Menschenwürde mit der einen Hand gegeben, was mit der anderen Hand genommen wird. Könnte das Recht auf Asyl, könnte Art. 16a GG gestrichen werden? Wie bereits ausgeführt, stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass in der Tat Art. 16a GG nicht der Ewigkeitsgarantie unterfällt und somit abschaffbar wäre.45 Dennoch wären die darin enthaltenen Einzelverbürgungen – das Verbot, einen Menschen in ein Land zu bringen, in dem ihm Verletzungen der Menschenwürde – insbesondere Gefahren für Leib und Leben – drohen, und das Verbot, einen Menschen, der sich im Inland aufhält und sich nicht selbst versorgen kann, ohne jede Unterstützung zu lassen, änderungsfest. Soweit reichen auch die internationalen Bindungen Deutschlands – eine Reform, die diese angreifen würde, wäre ausgeschlossen. Ob auch die Rechtsweggarantie bei Ansprüchen auf Asyl erhalten bleiben muss, lässt das Bundesverfassungsgericht 1996 offen;46 allerdings wäre auch dies über die EMRK einzufordern.47 Nur der internationale Gewährleistungskern wäre so bestandsfest; alles, was das Grundgesetz darüber hinaus bietet oder geboten hat, wäre es nicht. Christian Tomuschat konstatiert nüchtern, nach der Verfassungsreform sei für eine „im besten Sinne „hochmütige“ Illusion“ kein Raum mehr.48
VI. Menschenwürde und der Grundsatz „ne ultra posse“
Das wohl schwierigste Problem aber lässt sich mit dem „ne ultra posse“-Grundsatz umschreiben, auf den sich auch die aktuelle Diskussion vielfach bezieht. Interessanterweise wird das „ne ultra posse“ in der Präambel zur Genfer Flüchtlingskonvention, dem wichtigsten internationalen Dokument in diesem Bereich, explizit angesprochen. So wird zum einen darauf abgestellt, „dass sich aus der Gewährung des Asylrechts nicht zumutbare schwere Belastungen für einzelne Länder ergeben können und dass eine befriedigende Lösung des Problems, dessen internationalen Umfang und Charakter die Organisation der Vereinten Nationen anerkannt hat, ohne internationale Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht erreicht werden kann“,49 zum anderen betont, „dass alle Staaten in Anerkennung des sozialen und humanitären Charakters des Flüchtlingsproblems alles in ihrer Macht Stehende tun, um zu vermeiden, dass dieses Problem zwischenstaatliche Spannungen verursacht“.50 Es geht um „alles in ihrer Macht Stehende“, aber nicht um mehr. Wie aber lässt sich dies mit der Verankerung des Asylrechts in der Menschenwürde vereinbaren? Jede „das-Boot-ist-voll“- Argumentation scheitert daran. Zweifellos war dies auch historisch gewollt, hatte doch die „das-Boot-ist-voll“-Argumentation in potenziellen Ausreiseländern unzähligen vom NS-Staat Verfolgten das Leben gekostet. Aber wenn ein Recht in keiner Weise begrenzt werden kann, besteht die Gefahr, dass es für nicht umsetzbar gehalten und in der Folge schlicht ignoriert wird. Werden keine Lösungen im Recht angeboten, werden die Lösungen außerhalb des Rechts gesucht. Dass diese Gefahr real ist, zeigt, wie eingangs erläutert, die gegenwärtige Diskussion.
E. Fazit
Verfassungsvergleichend lässt sich festhalten, dass die 1949 ins Grundgesetz eingefügte Garantie eines gerichtlich einklagbaren Rechts auf Asyl politisch Verfolgter, vom Bundesverfassungsgericht später mit der Verankerung in der Menschenwürde gleichsam „geadelt“, eine Besonderheit im Vergleich zu Regelungen in anderen europäischen Verfassungen war. Die Grundrechtsreform 1993 hat die Besonderheiten aber weitgehend zurückgenommen, und die Regelung, auch wenn ein Anspruch politisch Verfolgter auf Asyl auf dem Papier geblieben ist, weitgehend den Regelungen in anderen europäischen Verfassungssystemen angenähert. Mit der Verneinung einer Teilhabe am Gewährleistungsgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG wurde das Recht auf Asyl, soweit es nicht durch völkerrechtliche Verträge und EU-Recht abgesichert ist, vom Bundesverfassungsgericht zur Disposition gestellt. Gleichwohl ist durch die neuere Rechtsprechung zum Existenzminimum der Menschenwürdebezug mit Blick auf den Status von Asylsuchenden in Deutschland wieder gestärkt worden. Auch wenn dies bei einer Diskussion, in der die individuellen Schicksale ausgeblendet und von Asylbewerbern nur mehr im Plural und nicht mehr im Singular gesprochen wird, zu begrüßen ist, führt die Rechtsprechung doch zu Dissonanzen und Widersprüchen.
Die praktische Bedeutung der grundgesetzlichen Konzeption – einschließlich der Verklammerung mit der Menschenwürde – ist allerdings inzwischen relativiert, da das deutsche Recht und auch das deutsche Verfassungsrecht durch EU-Recht im Wesentlichen überlagert wurden.51 Dennoch sollte Art. 16a GG nicht, obwohl es dafür in der Literatur viele Stimmen gibt52 – als obsolet erachtet werden. Denn die identitätsstiftende Bedeutung der Gewährung von Asyl53 sollte als Tradition des deutschen Verfassungsrechts bewahrt werden.
- https://www.tagesschau.de/inland/lindner-buschmann-sozialleistungen-100.html (Alle Links wurden zuletzt abgerufen am 27.11.2024): Die FDP-Minister Buschmann und Lindner fordern in einem Gastbeitrag für eine Zeitung, Leistungen für Asylbewerber künftig einfacher kürzen zu können. Unter bestimmten Voraussetzungen wollen sie diese sogar fast komplett streichen. [↩]
- Am linken Rand spricht sich insbesondere Sarah Wagenknecht, ehemals Mitglied der LINKEN und Gründerin einer neuen Bewegung, für eine besonders restriktive Migrationspolitik aus. [↩]
- https://www.kas.de/documents/252038/22161843/Thorsten+Frei+MdB+Rede+Rechtspolitische+Konferenz.pdf/6ffa1b32-b76c-bc88-dd00-f749dd88b91f?version=1.0&t=1702455762440, Rede von T. Frei MdB beim Festabend der „17. Rechtspolitischen Konferenz“ der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. am 12.10.2023. [↩]
- Vgl. V. Valentin, Geschichte der Revolution von 1848-49, Band 2, 1931, S. 540, zitiert nach J.-D. Kühne, 150 Jahre Revolution von 1848-49 – ihre Bedeutung für den modernen Verfassungsstaat, NJW 1998, 1513; von 1850 bis 1870 wanderten insgesamt etwa zwei Millionen Deutsche aus, ungefähr die Hälfte bereits innerhalb der ersten fünf Jahre, siehe:https://www.dhm.de/lemo/kapitel/reaktionszeit/alltagsleben/auswanderung.html. [↩]
- Vgl. die Schätzungen etwa für das Elsass, wo zwischen 112 000 bis 150 000 Menschen nach dem Ersten Weltkrieg das Land verlassen mussten, siehe B. Barth, Ethnisierungen und die Krise der europäischen Demokratien nach 1918/19, in: Leonard (Hrsg.), Große Erwartungen – 1919 und die Neuordnung der Welt, 2023 S. 303. [↩]
- Vgl. z.B. C. Hofmann, Alles was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters, 2022. [↩]
- Der Wortlaut von Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG war: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. [↩]
- Art. 14 Abs. 1 – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. [↩]
- M. Will, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 16a, Rn. 2. [↩]
- Siehe für einen Vergleich der Verankerung eines Asylrechts in verschiedenen, europäischen Verfassungen: BR-Drs. 175/90, 01.03.1990, S. 5 f. [↩]
- Vgl. BVerfGE 54, 341 (356): „Durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG ist das Asylrecht des politisch Verfolgten zum Grundrecht erhoben. Das Grundgesetz hat damit das Asylrecht, über das Völkerrecht und das Recht anderer Staaten hinausgehend, als subjektives öffentliches Recht ausgestaltet, an das Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gebunden sind.“. [↩]
- Präambel der Verfassung von 1946, vierter Spiegelstrich. [↩]
- Vgl. dazu im Detail C. Grewe, Die Reform des Ausländer- und Asylrechts in Frankreich. Die Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 13. August 1993, EuGRZ 1993, 496 ff. [↩]
- Vgl. A. Voßkuhle, Grundrechtspolitik und Asylkompromiß – Zur Verfassungsänderung als Instrument politischer Konfliktbewältigung am Beispiel des Art. 16a GG, DÖV 1994, 53 (61), der von der „Singularität des grundrechtlichen Asylanspruchs“ spricht; „abweichend vom ursprünglichen soziologischen Kontext [sei] in humanitärer Absicht das Asyl zum Asylrecht“ umgeformt und der „ursprüngliche[] Bittsteller zum Anspruchsteller“ erhoben worden. [↩]
- Vgl. M. Will, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 16a, Rn. 3; wörtlich sagte Carlo Schmid: „Die Asylrechtsgewährung ist immer eine Frage der Generosität, und wenn man generös sein will, muß man riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben. Das ist die andere Seite davon, und darin liegt vielleicht auch die Würde eines solchen Aktes.“, siehe Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Stenographische Berichte, 1948/49, S. 217. [↩]
- Zahlenmäßig wurden von Februar 1952 bis zum 31. Dezember 1992 166.169 Asylanträge positiv beschieden (Anerkennungsquote von bis zu 4,25%; vgl. A. Voßkuhle (Fn. 14), 54. In dieser Zeit entschied der BGH (BGH Beschl. v. 21.01.1953 – 4 ARs 2/53), dass bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung nach § 25 des Deutschen Auslieferungsgesetzes das in Art. 16 Abs. 2 S. 2 a.F. GG bestimmte Asylrecht der politisch Verfolgten berücksichtigt werden müsse, welches auch eine Auslieferung wegen krimineller Straftaten Verfolgter verbiete, wenn eine Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkung der persönlichen Freiheit durch Behörden aus politischen Gründen drohe. Zudem definierte das BVerwG in BVerwGE 4, 238 im Jahr 1957 den Begriff des politisch Verfolgten genauer, wobei die Einordnung als „politisch Verfolgter“ nach Art. 16 GG entscheidend dafür war, ob ein Aufenthaltsverbot mit einer Einschränkung zu versehen ist, sodass der Kläger nicht in sein Heimatland abgeschoben werden darf. Das BVerfG entschied zudem in BVerfGE 9, 174 im Jahr 1959, dass der Begriff des „politisch Verfolgten“ nicht eng auszulegen sei und dass insbesondere die Zusicherung der Spezialität der Strafverfolgung nicht ausreichend Schutz vor politischem Missbrauch biete. Ferner betonte der BGH in einem Beschluss aus dem Jahr 1961 (BGHSt 15, 297), dass für einen wegen politischen Mordes Verfolgten garantiert sein müsse, dass die Spezialität der Strafverfolgung bestünde. Dies könnte durch die förmliche Zusicherung der „Regierung eines Staates, dessen Regierung und Behörden tatsächlich auf dem Boden des Rechtsstaates stehen“ garantiert werden. Das BVerwG stellte im Jahr 1975 fest, dass Art. 16 Abs. 2 S. 2 a.F. GG die Zurückweisung des Zufluchtsuchenden an der Grenze und eine Abschiebung in den Verfolgerstaat verbiete. Zudem habe die Norm entgegen der bisherigen Rechtsprechung keine immanenten Schranken und könne nur aus der aus der gebotenen « Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung » eingeschränkt werden. [↩]
- BVerfGE 54, 341 (356). [↩]
- BVerfGE 54, 341 (356). [↩]
- Schon in einer seiner ersten Entscheidungen verweist das Bundesverfassungsgericht darauf, dass die Verfolgung eines Menschen einen Angriff auf seine Menschenwürde darstelle (vgl. BVerfGE 1, 97 [104]). [↩]
- BVerfGE 76, 143 (157 f.); vgl. dazu R. Rothkegel, Ewigkeitsgarantie für das Asylrecht? Zeitschrift für Rechtspolitik 1992, 222 (223), der darin ein „Sonderopfer“ sieht. [↩]
- BVerfGE 54, 341 (356); zustimmend U. Becker, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 16a, Rn. 36. [↩]
- R. Poscher, Menschenwürde, in: Herdegen/Masing/Poscher/Gärditz, Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 17, Rn. 79. [↩]
- R. Poscher (Fn. 22), Rn. 79 zum auf dem Verhältnismäßigkeitsprinzip aufbauenden Verständnis der Menschenwürde etwa im Verfassungsrecht Israels oder Südafrikas. [↩]
- Vgl. BVerfGE 30, 1, Leitsatz 5: „Art. 79 Abs. 3 GG verbietet eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze, hindert jedoch nicht, durch verfassungsänderndes Gesetz auch elementare Verfassungsgrundsätze systemimmanent zu modifizieren.“ Die Menschenwürdegarantie wird in diesem Zusammenhang dann interpretiert als die Aussetzung einer Behandlung, die die Subjektqualität des Menschen prinzipiell in Frage stellt und als „Ausdruck der Verachtung des Werts, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt.“ (vgl. BVerfGE 30, 1 [26]). [↩]
- C. Tomuschat, Asylrecht in der Schieflage, EuGRZ 1996, 381. [↩]
- Zum Hintergrund der Reform von 1994 vgl. J. Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AsylG Vorbemerkung, Rn. 11 ff. [↩]
- Vgl. J. Masing, der von einem „eher symbolisches Grundrecht“ spricht (in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art.16a GG, Rn. 29); E. Franßen spricht von einer „Grundrechtsverhinderungsvorschrift“ (vgl. E. Franßen, Der neue Art. 16a GG als „Grundrechtsverhinderungsvorschrift“, DVBl. 1993, 300); vgl. auch G. Renner, Der „Asylkompromiss“ und seine Folgen, NVwZ 1994, 452. [↩]
- Ges. v. 28.6.1993, BGBl. I, S. 1002; vgl. J. Henkel, Das neue Asylrecht, NJW 1993, 2705, G. Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996, DVBl. 1996, 825. [↩]
- Zur Diskussion der Spielbreite der Reformmöglichkeiten mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG in der vor der Verfassungsreform und den dazu ergangenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts geführten Debatte vgl. A. Voßkuhle (Fn. 14), 59 Fn. 71; eine dezidierte Gegenposition zum Bundesverfassungsgericht vertritt etwa R. Rothkegel (Fn. 20), 227, der argumentiert, der „materielle Kerngehalt der Asylrechtsgarantie des Art. 16 II 2 GG“ sei „Bestandteil des Grundsatzes der Menschenwürde“, sodass eine „Aufgabe oder auch nur Einschränkung dieses Gehalts“ an der Ewigkeitsgarantie scheitern müsse. [↩]
- BVerfGE 94, 49 (103). [↩]
- Zustimmend: A. v. Arnauld/S. Martini, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 16a, Rn. 15; U. Becker (Fn. 21), Rn. 13; H. D. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 16a, Rn. 1; F. Wittreck, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 16a, Rn. 48. [↩]
- „Wie grundsätzlich jede Bestimmung der Verfassung steht auch das Grundrecht auf Asyl zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers (Art. 79 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG).(…) Ist mithin der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert, das Asylgrundrecht als solches aufzuheben, ergibt sich ohne weiteres (…)“; BVerfGE 94, 49 (103 f.); bejahend U. Becker (Fn. 21), Rn. 13; begründet wird die Abschaffungsmöglichkeit damit, dass sich die Bundesrepublik nicht die Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten zurechnen lassen müsse (Rn. 13). [↩]
- BVerfGE 132, 134. [↩]
- BVerfGE 125, 175 (222): „Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen.“. [↩]
- BVerfGE 132, 134, Leitsatz 3: „Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.“. [↩]
- BVerfGE 125, 175 (222): „Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.“. [↩]
- BVerfGE 125, 175, Rn. 82. [↩]
- BVerfGE 125, 175, Rn. 134. [↩]
- BVerfGE 137, 34 (91), Rn. 117; vgl. zu den Grenzen im Einzelnen BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2021 – 1 BvR 2682/17 – Rn. 1-26. [↩]
- Vgl. BVerfGE 132, 134 (173), Rn. 95; BVerfGE 152, 68 (114), Rn. 120. [↩]
- A. v. Arnauld/S. Martini (Fn. 31), Rn. 15; F. Wittreck (Fn. 31), Rn. 48. [↩]
- J. Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 4 AsylG, Rn. 9 f. [↩]
- M. Rüb, Italien hilft nur den Italienern, FAZ vom 21.06.2018; M. Kakutani, When History Repeats, in: The New York Times vom 15.07.2018, zitiert nach: A. Kossert, Flucht. Eine Menschheitsgeschichte, 2020, S. 15. [↩]
- D. Thym, Migrationssteuerung im Einklang mit den Menschenrechten – Anmerkungen zu den migrationspolitischen Diskursen der Gegenwart, ZAR 2018, 193 (196). [↩]
- BVerfGE 94, 49 (103 f.): „Ist mithin der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert, das Asylgrundrecht als solches aufzuheben …“. [↩]
- BVerfGE 94, 49 (104). [↩]
- Vgl. die Rechtsprechung zu Art. 13 EMRK. [↩]
- C. Tomuschat (Fn. 25), 381. [↩]
- Präambel zur Genfer Flüchtlingskonvention – Abs. 4 des Genfer Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom 28. Juli 1951, BGBl II 1953, S. 560. [↩]
- Präambel zur Genfer Flüchtlingskonvention – Abs. 5 des Genfer Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom 28. Juli 1951, BGBl II 1953, S. 560. [↩]
- Entscheidend sind die Regelungen der gemeinsamen Asylpolitik der Mitgliedsstaaten, insbesondere die Aufnahme-RL (RL 2013/33/EU), die AsylverfahrensRL (RL 2013/32/EU), die Dublin III-VO (VO [EU] Nr. 604/2013) und die Qualifikations-RL (RL 2011/95/EU); vgl. A. Siehr (Der Staat als Personalverband, in: Herdegen/Masing/Poscher/Gärditz, Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 9, Rn. 179), die insoweit von der Verdrängung durch ein „Parallelregime der Schutzgewährung“ spricht. [↩]
- K. Hailbronner, Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und in Europa, 2013, Band 5, § 123, Rn. 21 ff.; K. F. Gärditz, in Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 16a, Rn. 74 ff., F. Wittreck (Fn. 31), Rn. 36. [↩]
- M. Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, 104. EL 2024, Art. 79, Rn. 115; K. F. Gärditz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, 102. EL 2023, Art. 16a, Rn. 455. [↩]
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