Diese Studie spiegelt nur die persönliche Meinung des Verfassers wider. Die Studie ist auf dem Stand des 29. Februar 2024. Sie berücksichtigt das französische Gesetz Nr. 2024-42 vom 26. Januar 2024 „zur Kontrolle der Einwanderung, zur Verbesserung der Integration“. Dagegen wird die aus dem „Pakt über Migration und Asyl“ hervorgegangene Unionsregelung, die zum Zeitpunkt der Vervollständigung dieser Studie nicht erlassen wurde, nicht berücksichtigt.
Obwohl die Menschenwürde unter allen Umständen zu achten und zu schützen ist, stellt ihre Wahrung im Kontext von Asylbewerbern eine besondere Herausforderung dar. Jeder Antrag auf internationalen Schutz setzt die Befürchtung voraus, dass das Herkunftsland des Antragstellers nicht in der Lage ist, den Betroffenen vor Verfolgung oder vor einem schwerwiegenden Eingriff in seine Würde zu schützen, oder gar, dass die staatlichen Behörden selbst die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden verursacht haben. Darüber hinaus sind Asylbewerber nach Verlassen ihres Herkunftsstaates meist besonderen Gefährdungen ausgesetzt, die ihre Menschenwürde in erheblichem Maße gefährden können.
Die vorliegende Studie befasst sich mit der Situation von Personen, die bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder beabsichtigen1, einen solchen Antrag zu stellen, sei es auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes2. Dagegen bleibt die Situation ehemaliger Asylbewerber, deren Antrag bereits abschließend bearbeitet wurde3, außer Betracht. Ebenso werden Fragestellungen ausgeklammert, die zwar im Zusammenhang mit der Menschenwürde stehen, jedoch nicht spezifisch für Asylbewerber sind, etwa solche, die sich auf die Einreise, den Aufenthalt im Staatsgebiet oder die Abschiebung beziehen.
In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Menschenwürde4 im Lichte seiner Verbindung mit dem Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstanden5. Was unmenschlicher Natur ist, ist dem Menschen seinem Wesen nach unwürdig, sodass das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung als konkrete Ausprägung der Menschenwürde angesehen werden kann. Diese Korrelation darf jedoch nicht mit Identität gleichgesetzt werden: Wäre der Schutz der Menschenwürde lediglich auf das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung beschränkt, so fände er nur in besonders gravierenden Fällen Anwendung, wodurch sich die Menschenwürde zu einem Verbot mit begrenzter praktischer oder lediglich theoretischer Relevanz degradieren würde.
Zudem weisen diese Begriffe eine gewisse Ambivalenz auf. So dient die Menschenwürde, indem sie schutzbedürftigen Personen den Schutz vor Dritten ermöglicht, als Mittel zur Einbeziehung und Förderung der individuellen Freiheiten und der Kernleistungen, beschränkt aber zugleich, indem sie den Schutz jedes Einzelnen gegen sich selbst ermöglicht, diese Freiheiten auch im Namen der Verhinderung unwürdiger Praktiken6. Da es sich jedoch um teilweise schwer fassbare Standards handelt, werden die Menschenwürde und die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowohl in den Unionsvorschriften über den internationalen Schutz als auch in der einschlägigen französischen Regelung, die im Code de l’entrée et du séjour des étrangers et du droit d’asile (CESEDA, Gesetzbuch über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und über das Asylrecht)7 kodifiziert ist, nur mit Zurückhaltung erwähnt.
Die Qualifizierungs-8, die Asylverfahrens-9 und die Aufnahmerichtlinie10 sowie die Dublin-III-Verordnung11 verweisen in einigen Erwägungsgründen sowie in einer begrenzten Zahl von Artikeln auf die Menschenwürde. Diese Regelungen betreffen insbesondere die Situation von Antragstellern, Überstellungen, Durchsuchungen oder Untersuchungen und medizinische Versorgung12. Auch die Bezugnahme auf unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ist zwar nicht häufig13, jedoch in bestimmten Fällen von entscheidender Bedeutung. So bestimmt Art. 15 Buchst. b der Qualifizierungsrichtlinie, dass Folter sowie eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland als ernsthafter Schaden einzustufen sind, der eine Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes darstellt14. Darüber hinaus definiert Anhang I der Asylverfahrensrichtlinie einen „sicherer Herkunftsstaat“ im Wesentlichen als einen Staat, in dem u. a. „generell und durchgängig weder eine Verfolgung […] noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe […] zu befürchten sind“.15 In Bezug auf die Dublin-III-Verordnung, verbietet deren Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 die Überstellung in einen Mitgliedstaat, in dem das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller systemische Mängel aufweisen, welche eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen16.
Zur Beurteilung, inwieweit die Rechtsstellung von Asylbewerbern in besonderer Weise durch das Postulat der Wahrung der Menschenwürde geprägt wird, ist die Rechtsprechung maßgeblich heranzuziehen. Die Gewährleistung der Menschenwürde sowie das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, tragen maßgeblich zur Entwicklung einer einheitlichen europäischen Rechtsprechung bei. Im Hinblick auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist sowohl die Bedeutung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK als auch die sogenannte „strahlende Abwesenheit“ (absence irradiante) des Schutzes der Menschenwürde über den Bereich des Asyl- und Einwanderungsrechts hinaus anerkannt17. Was den Europäischen Gerichtshof (EuGH) betrifft, so enthalten dessen Urteile zum Asyl- und Einwanderungsrecht mehrfach Verweise auf den Begriff der Menschenwürde sowie auf den Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Diese Bezugnahmen können als kohärenzstiftendes Element im Inneren einer sonst eher kasuistischen Rechtsprechung verstanden werden18. Dies ist umso bemerkenswerter, da der Gerichtshof sich grundsätzlich zurückhaltend zeigt, auf die Charta Bezug zu nehmen, sofern ihr in der jeweiligen Rechtssache kein eindeutiger Mehrwert zukommt. Über die innere Kohärenz der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH hinaus fungieren die Wahrung der Menschenwürde sowie das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung als gemeinsame Bezugspunkte dieser beiden Gerichte und tragen zur gegenseitigen Berücksichtigung ihrer jeweiligen Judikatur bei.
In gewissem Umfang fungieren diese Begriffe auch als einheitlicher Bezugspunkt innerhalb der französischen Rechtsprechung zum Ausländerrecht, die überwiegend von den Verwaltungsgerichten und in geringerem Maße vom Conseil constitutionnel geprägt wird. Allerdings kommt der Menschenwürde in diesem Bereich unbestreitbar eine geringere Bedeutung zu als in den anderen Bereichen des Verwaltungsrechts, etwa im Rahmen ordnungsbehördliche Maßnahmen (police administrative générale) oder der Wahrung der öffentlichen Ordnung. Seit einigen Jahrzehnten trägt die Wahrung der Menschenwürde jedoch in nicht unerheblichem Maße zur Stabilität einer Rechtsordnung bei, die seit 1980 30 Gesetze auf dem Gebiet des Ausländerrechts produziert hat19.
Angesichts dieser Feststellungen verfolgt die vorliegende Studie ein zweifaches Ziel. Zum einen geht es darum, die wichtigsten Ausprägungen der Wahrung der Menschenwürde in der europäischen Rechtsprechung zu Asylbewerbern zu ermitteln, insbesondere im Hinblick darauf, in welchen Bereichen die Bezugnahme auf die Menschenwürde gegenüber anderen Rechtsnormen oder Grundsätzen einen echten Mehrwert darstellt. Zum anderen soll die Wechselwirkung zwischen europäischem und nationalem Recht in diesem Bereich erfasst sowie darüber hinaus bestimmt werden, inwieweit das Zusammenspiel zwischen der europäischen und der französischen Rechtsprechung konvergent ist. In diesem Zusammenhang lassen sich drei wesentliche Bereiche identifizieren, in denen der Schutz der Menschenwürde von Asylbewerbern in unterschiedlicher Weise eine maßgebliche Rolle spielt. Hinsichtlich der materiellen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber zeichnet sich ab, dass eine Angleichung der Rechtsprechung nicht immer ohne Schwierigkeiten erfolgt (A). Im Bereich der Überstellung in dem für die Prüfung des Antrags zuständigen Staat im Rahmen der Dublin-III-Verordnung erfolgt die Konvergenz fallbezogen und eher graduell (B). Demgegenüber hat sich im Laufe der Zeit eine zunehmende Vereinheitlichung bei der Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft oder der Zuerkennung subsidiären Schutzes entfaltet (C).
A. Eine schwierige Konvergenz: die materiellen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber
Zweck der Aufnahmerichtlinie ist es, menschenwürdige Lebensbedingungen für Asylbewerber zu gewährleisten. Ohne einschlägige Rechtsvorschriften wären diese Personen dem Risiko unwürdiger Aufnahmebedingungen vollkommen ausgesetzt. In diesem Zusammenhang werden „mit der Menschenwürde unvereinbare Bedingungen“ in der strafrechtlichen Rechtsprechung zu den sogenannten „marchands de sommeil“ (denjenigen, die Mietobjekte überbelegen), erwähnt20. Nunmehr bestimmt der aus dem Gesetz Nr. 2024-42 vom 26. Januar 2024 „zur Steuerung der Einwanderung und zur Verbesserung der Integration“ hervorgegangene Art. L. 425-11 CESEDA, dass einem Ausländer, der Strafanzeige gegen eine Person erstattet, der er vorwirft, ihm gegenüber Handlungen begangen zu haben, die den Tatbestand der Unterwerfung unter mit der Menschenwürde unvereinbaren Unterbringungsbedingungen erfüllen, eine vorläufige Aufenthaltskarte mit der Angabe „Privat- und Familienleben“ ausgestellt wird. Diese Aufenthaltsgenehmigung hat eine Gültigkeitsdauer von einem Jahr und wird während der gesamten Dauer des Strafverfahrens verlängert.
Darüber hinaus sieht die Richtlinie im Rahmen der Aufnahme die Bereitstellung materieller Leistungen vor, darunter die Unterkunft, Verpflegung und Kleidung, die entweder in Form von Sach- oder Geldleistungen, Gutscheinen oder einer Kombination dieser drei Varianten gewährt werden können. Zudem erfasst sie Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs21. Außerdem müssen Personen, die internationalen Schutz beantragen und nach der Dublin-III-Verordnung in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden können (die sogenannten „dublinés“ oder „dublinables“), insbesondere Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats erhalten, da dies maßgeblich zur Wahrung ihrer Menschenwürde beiträgt22. Die Menschenwürde spielt eine essenzielle Rolle bei der Auslegung der Verpflichtung zur Bereitstellung materieller Leistungen im Rahmen der Aufnahme (I) als auch hinsichtlich der Möglichkeit ihres Entzugs (II).
I. Die Verpflichtung, materielle Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, die die Grundbedürfnisse von Asylbewerbern decken können
Die Wahrung der Menschenwürde von Asylbewerbern erfordert bei der Auslegung der Aufnahmerichtlinie durch den EuGH, dass die materiellen Aufnahmebedingungen die Grundbedürfnisse von Personen, die internationalen Schutz beantragen, decken müssen. In diesem Sinne hat der Gerichtshof 2012 in Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens des Conseil d’État (Staatsrat) klargestellt, dass Personen, auf die die Dublin-Verordnung als Asylbewerber Anwendung findet, bis zur tatsächlichen Überstellung in den Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung Anspruch auf die im Rahmen der Aufnahmerichtlinie vorgesehenen materiellen Aufnahmebedingungen haben23. Im Oktober 2009 hatte der französische Conseil d’État in diesem Punkt bereits entschieden, dass den „dublinés“ in Frankreich im Rahmen der Aufnahme angemessene materielle Leistungen gewährt werden müssen, was sich aus der damals geltenden ordonnance (Verordnung) ergab24. Allerdings war das Innenministerium nicht derselben Ansicht, wie sich durch ein circulaire (Rundbrief) vom 3. November 2009 zeigte, dessen Nichtigerklärung schließlich im Jahr 2013 Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH war. Dieses Beispiel veranschaulicht das Spannungsverhältnis, welches in der Praxis zwischen der Wesentlichkeit bestimmter Bedürfnisse der Asylbewerber, die ihre Menschenwürde berühren und daher ausnahmslos erfüllt werden müssen, sowie der Knappheit, der den Behörden zur Verfügung stehenden Mittel bestehen kann.
Dieses Spannungsverhältnis manifestiert sich insbesondere in der Frage, ob die Gewährung der im Rahmen der Aufnahme bereitgestellten materiellen Leistungen als Handlungs- oder Erfolgspflicht zu verstehen ist. Im Jahr 2010 vertrat der Conseil d’État die Auffassung, dass die Verwaltung lediglich einer Handlungspflicht, nicht aber einer Erfolgspflicht unterliege.25. Außerdem sind bei der Beurteilung der Verletzung des Asylrechts u. a. die Mittel zu berücksichtigen, über die die Verwaltungsbehörde26 Im Gegenzug bezeichnet die europäische Rechtsprechung die Bereitstellung materieller Aufnahmebedingungen im Wesentlichen als eine Erfolgspflicht. Der EGMR war der erste, der zu diesem Ergebnis gelangte, indem er in der Rechtssache M. S. von Griechenland verlangte, materielle Aufnahmebedingungen zu schaffen, die geeignet sind, die Grundbedürfnisse von Asylbewerbern zu decken. Nach Auffassung des EGMR kann das Fehlen dieser Voraussetzungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen, insbesondere wenn die betroffenen Personen in extremer Armut leben27. Diese Argumentation wurde in jüngerer Zeit bestätigt28. In der Tat, der EuGH präzisierte im Jahr 2014, dass, wenn sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, die materiellen Aufnahmebedingungen in Form von Geldleistungen zu gewähren, sicherstellen muss, dass diese für ein menschenwürdiges Leben ausreichen. Dies umfasst die Gesundheitsversorgung und die Gewährleistung des Lebensunterhalts der Asylbewerber, welchen die Möglichkeit zustehen sollte, gegebenenfalls auch auf dem privaten Wohnungsmarkt eine Unterkunft zu finden29.
In der Folge hat der Conseil d’État nicht gezögert, die Angemessenheit der Höhe dieser Beihilfen zu prüfen, insbesondere in Bezug auf den Zusatzbetrag für Wohnraum. So befand er im Jahr 2016, dass ein Betrag von 4,20 Euro pro Tag offensichtlich unzureichend sei30. Im Jahr 2018 war er der Ansicht, dass in den meisten großen Ballungsräumen, in denen sich ein erheblicher Teil der Asylanträge konzentriert, ein zusätzlicher Betrag von 5,40 EUR pro Tag offensichtlich unzureichend ist, um einem Asylbewerber eine Mietwohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt zu ermöglichen31. Im Jahr 2019 stellte der Conseil d’État schließlich fest, dass ein Tagesbetrag von 7,40 Euro für die Unterbringung wiederrum nicht offensichtlich unzureichend sei, um einem Asylbewerber eine Mietwohnung auf dem privaten Markt zu ermöglichen32.
Allerdings hat der EGMR im Jahr 2020 einen wenig rühmlichen Verstoß Frankreichs gegen Art. 3 EMRK festgestellt. Die festgestellte Verzögerung bei der Umsetzung der materiellen Aufnahmebedingungen kann einen solchen Verstoß begründen, da sie bestimmte Asylbewerber dazu zwingt, über Monate hinweg mittellos und obdachlos zu verbleiben. So sahen sich die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall als „Opfer einer erniedrigenden Behandlung, die von einer mangelnden Achtung ihrer Würde zeugt. Diese Situation hat bei ihnen ohne jeden Zweifel Gefühle von Angst, Unruhe oder Minderwertigkeit ausgelöst, die zur Verzweiflung führen konnten“. Nach Ansicht des EGMR haben solche Existenzvoraussetzungen in Verbindung mit dem Ausbleiben einer angemessenen Reaktion der französischen Behörden, obwohl diesen die Unmöglichkeit der Betroffenen, ihre grundlegenden Rechte tatsächlich auszuüben und ihre elementaren Bedürfnisse zu decken, wiederholt vor Augen geführt wurde, den für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderlichen Intensitätsgrad erreicht.33 Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die innerstaatlichen Gerichte den Betroffenen systematisch entgegenhielten, dass es aufgrund ihrer Stellung als alleinstehende, gesunde und familienlose Erwachsene an verfügbaren Mitteln der zuständigen Stellen mangele.
Folglich ergibt sich, dass die Wahrung der Menschenwürde von Asylbewerbern nicht stets gewährleistet ist, da ihnen die materiellen Aufnahmebedingungen, die der Sicherstellung ihrer Grundbedürfnisse dienen, nicht immer in vollem Umfang zugutekommen. Dies wirft insbesondere Fragen im Hinblick auf den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen auf.
II. Der Entzug der materiellen Aufnahmebedingungen
Der EuGH hatte die Gelegenheit, die Grenzen der Befugnis der Mitgliedstaaten zur Entziehung der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen zu präzisieren. Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zur belgischen Regelung stellte der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedstaat unter den Sanktionen, die gegen einen Antragsteller für grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Unterbringungszentren und grob gewalttätiges Verhalten verhängt werden können, keine Sanktion vorsehen kann, mit der die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen, die sich auf Unterkunft, Verpflegung und Kleidung beziehen, auch nur zeitweilig entzogen werden, weil diese Sanktion dem Antragsteller die Möglichkeit nähme, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Darüber hinaus unterliegt die Verhängung anderer Sanktionen den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit sowie der Achtung der Menschenwürde34.
Über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren35 sah Art. D. 744-36 Abs. 3 des CESEDA die Möglichkeit des Entzugs der materiellen Aufnahmebedingungen u. a. für den Fall vor, dass eine Person ein gewalttätiges Verhalten an den Tag legte oder schwerwiegende Verstöße gegen die Regelungen des Unterbringungsorts beging. Mit Inkrafttreten des Dekrets Nr. 2020 ‑1734 vom 16. Dezember 2020 wurde diese Sanktion in diesen Fällen jedoch abgeschafft, wenngleich der Entzug materieller Aufnahmeleistungen in anderen Konstellationen, etwa bei nachgewiesenem Betrug, weiterhin zulässig bleibt. Angesichts des absoluten Charakters der „elementarsten Bedürfnisse“, die der Achtung der Menschenwürde inhärent sind, bleibt die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Aufnahmerichtlinie fraglich, sodass künftige Entwicklungen der Rechtsprechung nicht ausgeschlossen werden können.
Grundsätzlich lässt sich eine Annäherung zwischen der europäischen und der französischen Rechtsprechung hinsichtlich der materiellen Aufnahmeleistungen feststellen. Diese Konvergenz erscheint jedoch von einer gewissen Zurückhaltung geprägt und wirkt fragil. Tatsächlich obliegt es den mit der Aufnahme von Asylbewerbern zuständigen Behörden, würdige Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, die insbesondere die Befriedigung unverzichtbarer Grundbedürfnisse ermöglichen, welche nicht gegen anderweitige Erwägungen abgewogen werden dürfen. Selbst unter Außerachtlassung der Schwankungen der öffentlichen Meinung in diesem Bereich, setzt die Erreichung dieses Ziels erhebliche finanzielle Mittel voraus. Gleichzeitig zeigen sowohl das französische Recht als auch die französische Rechtsprechung eine gewisse Offenheit für Argumentation, die auf die Begrenztheit der verfügbaren Mittel verweisen.
B. Eine kasuistische Konvergenz: Überstellung in den für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat gemäß der Dublin-III-Verordnung
Die Dublin-III-Verordnung, insbesondere die Regelungen zur Überstellung von Personen, die internationalen Schutz beantragen, in den für die Antragsprüfung zuständigen Mitgliedstaat, wirft eine weitere Hürde auf: Die Sicherstellung einer einheitlichen Beurteilung der Anforderungen an die Wahrung der Menschenwürde in beiden betroffenen Staaten. Diese Schwierigkeit beruht darauf, dass die europäische Rechtsprechung die Überstellung in zwei Konstellationen ausschließt, die eng mit der Wahrung der Menschenwürde verbunden sind: Zum einen beim Vorliegen systemischer Mängel in dem für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat (I) und zum anderen beim Vorliegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (II).
I. Das Vorliegen systemischer Mängel in dem für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat
In der Rechtssache M. S. S. stellte der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch Belgien fest, da die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel im Aufnahmesystem geeignet war, eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung zu bewirken36. Der EuGH griff diese Wertung in der Rechtssache N.S. teilweise auf und legte diese Grundsätze in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 der Dublin-III-Verordnung nieder.37 Demnach verbietet das Unionsrecht die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Mitgliedstaat, wenn die dortigen systemischen Defizite des Asylverfahrens und die Aufnahmebedingungen ernsthafte Zweifel daran begründen, dass der Antragsteller einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnte. Gleichwohl betont der Gerichtshof im Hinblick auf den „Daseinsgrund[s] der Union und […] [der] Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“, dass „jede Verletzung eines Grundrechts“ durch den zuständigen Mitgliedstaat nicht automatisch die Verpflichtungen der anderen Mitgliedstaaten, die Verpflichtungen aus der Dublin-III-Verordnung zu beachten, berühre38. Hat der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers zugestimmt, kann der Antragsteller daher diese Anerkennung nur unter Berufung auf systemische Mängel in diesem Staat anfechten.39
Der EuGH bemüht sich um ein Gleichgewicht zwischen zwei zentralen Apsekten : Einerseits soll eine Überstellung unterbleiben, wenn sie zu Lebensbedingungen führen würde, die den Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzen würden. Andererseits soll eine völlige Lähmung der Unionspolitik im Bereich des internationalen Schutzes vermieden werden. Dieses Spannungsverhältnis kommt insbesondere im Urteil Jawo zum Ausdruck, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass ein Asylbewerber nicht in den Mitgliedstaat überstellt werden darf, in dem ihm bereits Schutz zuerkannt wurde, sofern ihn dort – absehbar mit Blick auf die Lebensbedingungen von Personen, die in diesem Mitgliedstaat unter internationalem Schutz stehen -, eine extreme materielle Notlage erwartet, die gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung verstoßen würde. Ein derartiger Verstoß liegt insbesondere dann vor, wenn der Betroffene außerstande wäre, seine elementarsten Bedürfnisse – etwa Nahrung, Körperhygiene oder Unterkunft – zu decken, wodurch seine physische oder psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigt oder er in einen Zustand existenzieller Armut versetzt werden würde, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist. In diesem Zusammenhang ist die „besondere Schutzbedürftigkeit“ der betroffenen Person zu berücksichtigen. Der Gerichtshof bestätigte damit, dass solche Situationen zwar nicht ausgeschlossen, jedoch nur in außergewöhnlichen Konstellationen gegeben sind, die sich nicht auf prekäre Verhältnisse oder einen im Vergleich zum überstellenden Mitgliedstaat geringeren Schutz der Rechte reduzieren lassen.40
Die französischen Verwaltungsgerichte scheinen Zweifel an der Umsetzung dieser Leitlinien zu haben. Die einschlägige Rechtsprechung ist kasuistisch geprägt und offenbart Widersprüche, die über eine bloße Anpassung an sich wandelnde zeitliche und räumliche Gegebenheiten hinausgehen. Hinsichtlich Griechenlands gelangte der Conseil d’État zunächst zu der Auffassung, dass die Überstellungen von Asylbewerbern trotz der gegenteiligen Einschätzung des Tribunal administratif de Paris (Verwaltungsgericht Paris)41 rechtmäßig seien42. Ab dem Jahr 2010 hat sich der Standpunkt des obersten Verwaltungsgerichts jedoch weiterentwickelt43, mutmaßlich auch unter dem Einfluss der mehrfachen Verurteilungen Griechenlands durch den EGMR wegen Verstößen gegen Art. 3 EMRK44. In Bezug auf Italien hatte die Verurteilung dieses Staates durch den EGMR aufgrund defizitärerer Aufnahmebedingungen für Asylbewerber45 nur begrenzte Auswirkungen: Die darauf basierende Rechtsprechung blieb vereinzelt da sie nur situationsabhängig Resonanz fand und beschränkte sich somit auf bestimmte Berufungsgerichte46. Auch bezüglich Maltas wurden einige Überstellungsentscheidungen für nichtig erklärt47, bevor der Conseil d’État dieser Einschätzung widersprach48. Besonders heterogen stellt sich die Beurteilung Ungarns dar. Zu einem Zeitpunkt, als die Einstufung Ungarns als zuständiger Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung nicht unproblematisch war49, gelangten die französischen cours administratives d’appel (Verwaltungsberufungsgerichte) zu unterschiedlichen Bewertungen50.
Ungeachtet der Beurteilung der einzelnen Mitgliedstaaten, die sich je nach Migrationsbewegungen, legislativen Reformen oder der jeweiligen individuellen Situation ändern kann, wirft diese Fluktuation Fragen auf. Systemische Mängel, die nach der europäischen Rechtsprechung die Überstellung in den betreffenden Mitgliedstaat vereiteln, verlangen eine einheitliche Beurteilung. Gerade aufgrund ihres systemischen Charakters müssten derartige Mängel – sofern keine wesentlichen Änderungen auf der Ebene des betroffenen Mitgliedstaats eintreten – grundsätzlich zu einheitlichen Beurteilungen für alle vergleichbaren Situationen führen, in denen eine Überstellung beabsichtigt ist. Zwar ist es möglich, dass unter den Asylbewerbern bestimmte Gruppen von Asylbewerbern in einzelnen Staaten einem erhöhten Risiko der Verletzung ihrer Menschenwürde ausgesetzt sind. Gleichwohl erscheint es kaum vertretbar, innerhalb einer homogenen Gruppe – etwa Familien mit minderjährigen Kindern – zu divergierenden Schlussfolgerungen zu gelangen, da der systemische Charakter der Mängel einer rein kasuistischen Beurteilung widerspricht. Der letztere Ansatz eignet sich besser für die Beurteilung individueller, nicht strukturell bedingter Risiken eines Verstoßes gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.
II. Die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
In der Rechtssache C. K. aus dem Jahr 2017 hat der EuGH entschieden, dass die Überstellungsentscheidung, selbst in Abwesenheit systemischer Mängel im für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat, eine nach Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbotene unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen kann, sofern sie mit einer tatsächlichen und erwiesenen Gefahr einer wesentlichen und unumkehrbaren Verschlechterung des Gesundheitszustands der betreffenden Person verbunden ist. In einem solchen Fall obliegt es den zuständigen Behörden, sich zu vergewissern, dass der Gesundheitszustand der betreffenden Person mit der Überstellung vereinbar ist. Bestehen insoweit Zweifel, ist die Überstellung auszusetzen51. Diese Rechtsprechung ist bemerkenswert, da sie sich von der in anderen Bereichen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts üblichen zweistufigen Prüfung unterscheidet. So setzt etwa die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aufgrund der Gefahr einer Grundrechtsverletzung zunächst das Vorliegen systemischer oder allgemeiner Mängel im ausstellenden Mitgliedstaat voraus. Erst in einem zweiten Schritt wird geprüft, ob aufgrund ernsthafter, durch Tatsachen belegter Anhaltspunkte eine tatsächliche Gefahr besteht, wobei die konkreten Auswirkungen der benannten Mängel auf die individuelle Situation der betroffenen Person als Maßstab herangezogen werden52.
Im Falle von Risiken, die zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung führen könnten, untersagen die französischen Gerichte ebenfalls die Überstellung des Asylbewerbers. Im Bereich gesundheitlicher Risiken haben sie diesen Ansatz bereits implizit verfolgt, noch bevor der EuGH seine Rechtsprechung in C. K. entwickelte53. Das mit der Sache befasste Gericht muss dann im Einzelfall die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entweder aufgrund des Gesundheitszustands des Betroffenen54 oder infolge einer in der Vergangenheit erlittenen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beurteilen55. Weder der Conseil d’État56 noch der EuGH57 erkennen indes ein „mittelbares“ Risiko an, das alleine darauf beruht, dass der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat keine Zusicherung über den Schutz vor einer Abschiebung in das Herkunftsland gibt. Insgesamt lässt sich eine dogmatische Linie erkennen, deren praktische Umsetzung jedoch weiterhin einzelfallabhängig und kasuistisch geprägt ist – ein Umstand, der weniger problematisch erscheint als die Beurteilung systemischer Mängel in den für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Staaten.
C. Eine schrittweise Konvergenz: die Festlegung der Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes
Die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes sind durch einen untrennbaren Zusammenhang mit der Wahrung der Menschenwürde gekennzeichnet. Dies gilt allgemein (I), aber auch in Bezug auf Palästinaflüchtlinge, deren besonderer rechtlicher Status zu einer speziellen Rechtsprechung geführt hat (II).
I. Der untrennbare Zusammenhang zwischen der Wahrung der Menschenwürde und den Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes
Die Art. 9 und 10 der Qualifizierungsrichtlinie beziehen sich auf Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründe im Sinne der Genfer Konvention von 195158. Obwohl die Menschenwürde in dieser Konvention nicht ausdrücklich erwähnt wird, verweist ihre Präambel auf die Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind. Das Ziel, Flüchtlingen außerhalb ihres Herkunftslandes menschenwürdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, bildet das Fundament des gesamten Asylrechts. Dieses Bestreben wird durch den Begriff des subsidiären Schutzes bestätigt, der die Flüchtlingseigenschaft insofern ergänzt, als es die Gefahr eines ernsthaften Schadens – einschließlich Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung – als maßgebliches Kriterium für die Schutzgewährung anerkennt59.
Der Zusammenhang zwischen der Wahrung der Menschenwürde und dem internationalen Schutz ist somit allgegenwärtig. Auch wenn er nicht ausdrücklich erwähnt wird, tritt dieser unterschwellig in zahlreichen Fragestellungen hervor, die der EuGH zu beantworten hat – wie etwa in der anhängigen Rechtssache zur Einstufung von „Personen, die sich mit den Werten der Union identifizieren“, als soziale Gruppe im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Qualifizierungsrichtlinie60. In der bestehenden Rechtsprechung ist dieser Zusammenhang bereits im Bereich des Schutzes vor religiös motivierter Verfolgung erkennbar. Eine begründete Furcht vor Verfolgung des Antragstellers liegt vor, wenn nach der Auffassung der zuständigen Behörden unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach seiner Rückkehr in das Herkunftsland religiöse Handlungen vornehmen wird, die ihn einer realen Gefahr der Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten61. Eine gegenteilige Auslegung stünde im Widerspruch zur „Auslegung der in Art. 1 der Charta verankerten Menschenwürde zuwider […]. Wollte man nämlich vom Asylbewerber verlangen, seinen Glauben zu verheimlichen, zu ändern oder davon Abstand zu nehmen, seinen Glauben öffentlich zu bekennen, würden wir von ihm verlangen, etwas zu ändern, was möglicherweise einen grundlegenden Teil seiner Identität ausmacht, d. h., sich selbst zu verleugnen. Niemand hat jedoch das Recht hierzu.“62.
Die Achtung der Menschenwürde des Asylbewerbers erstreckt sich auch auf das Verfahren zur Bestimmung seiner Flüchtlingseigenschaft. Insbesondere wird die sexuelle Orientierung in Bezug auf bestimmte Herkunftsländer als Kriterium für die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe anerkannt. In Frankreich hat die Cour nationale du droit d’asile (CNDA, Nationaler Gerichtshof für Asylrecht) entschieden, dass homosexuelle Personen in der Demokratischen Republik Kongo einer derartigen Feindseligkeit seitens der Behörden und ihres sozialen Umfelds ausgesetzt sind, dass sie als soziale Gruppe im Sinne des Asylrechts gelten, obwohl Homosexualität nach dem kongolesischem Recht nicht ausdrücklich kriminalisiert wird63. Wie bei Anträgen, die auf andere Verfolgungsgründe gestützt werden, unterliegt auch die Prüfung von Asylanträgen aufgrund der sexuellen Orientierung einer Bewertung, die unter Wahrung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundsätze und Rechte, insbesondere der Menschenwürde, erfolgen muss. Folglich, verbietet die Wahrung der Menschenwürde dem betreffenden Mitgliedstaat, den Antragsteller homosexuelle Handlungen ausführen zu lassen oder Tests zu unterziehen, um die sexuelle Orientierung festzustellen. Ebenso verlangt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, dass das Verfahren keine Befragung zu den sexuellen Praktiken des Antragstellers umfassen darf. In diesem Rahmen dürfen die zuständigen Behörden nicht allein deshalb, weil der Antragsteller Befragungen auf Grundlage stereotypischer Vorstellungen über Homosexuelle unbefriedigend beantwortet hat, die Glaubwürdigkeit seines Antrags infrage stellen64.
II. Die besondere Situation der Palästinaflüchtlinge
Zwar geht es bei der Gewährung internationalen Schutzes stets um die Wahrung der Menschenwürde des Antragstellers, deren Bedrohung im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland vermieden werden soll. Diese Verbindung tritt jedoch besonders deutlich bei Palästinaflüchtlingen zutage, bei denen die Rechtsprechung des EuGHs in manchen Aspekten eine Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch die Mitgliedstaaten allein im Namen der Achtung der Menschenwürde zu implizieren scheint. Die Entwicklung dieser Rechtsprechung im Laufe der Zeit sowie ihr Zusammenspiel mit Urteilen, die sich an der Rechtsprechung des EGMR orientieren, haben nämlich dazu geführt, dass bei der Beurteilung der Situation des Antragstellers der Tatsache, dass es unmöglich ist, menschenwürdige, die Gesundheit wahrende Lebensbedingungen auf andere Weise als durch die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus in der Europäischen Union zu gewährleisten, ein erhebliches Gewicht beigemessen wird.
Dies resultiert aus einem besonderen rechtlichen Rahmen, der sich von der allgemein anwendbaren Regelung des Art. 1, Abschnitt A Ziff. 1 Nr. 2 des Genfer Abkommens von 1951 unterscheidet. Gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Qualifizierungsrichtlinie, der im Wesentlichen Art. 1, Abschnitt D der Genfer Konvention entspricht, ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er dem Schutz oder Beistand einer anderen Organisation oder Institution der Vereinten Nationen als dem UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) untersteht. Wird jedoch ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Situation des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt wurde, genießt er ipso facto den Schutz der Qualifikationsrichtlinie. Diese Bestimmung betrifft insbesondere Personen, die unter dem Mandat des UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten) geschützt sind65. In diesem Zusammenhang lässt sich eine schrittweise Konvergenz zwischen der französischen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des EuGHs feststellen, die durch eine Reihe von Präzisierungen weiter gefestigt wurde.
In einem ersten Schritt hat die Cour nationale du droit d’asile (CNDA) entschieden, dass der Beistand durch das UNRWA als nicht länger gewährt anzusehen sei, sobald sich der Betroffene außerhalb des Tätigkeitsbereichs dieser Organisation befinde66. Nach dieser Rechtsprechung müsse nämlich, sobald dieser Schutz entfalle, der im Genfer Abkommen vorgesehene gleichwertige Schutz an dessen Stelle treten.67 Diese Argumentation führte zu einer Art automatischer Anerkennung der UNRWA-Flüchtlingseigenschaft, die einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch die französischen Behörden begründete. Der Conseil d’État wich jedoch von dieser Auffassung ab und vertrat in der Folge die Auffassung, dass der Betroffene nur dann als Flüchtling anerkannt werden könne, wenn er aus schwerwiegenden Gründen Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Ziff. 1 Nr. 2 des Genfer Abkommens genannten Gründe habe68. Mit dieser Argumentation wurde die spezifische rechtliche Stellung von UNRWA-Flüchtlingen im Wesentlichen negiert und ihre privilegierte Rechtsposition erheblich eingeschränkt.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hingegen wählte einen differenzierteren Ansatz und stellte klar, dass weder eine bloße Abwesenheit von diesem Gebiet noch die freiwillige Entscheidung, es zu verlassen, automatisch als Wegfall des Beistands gewertet werden kann. Ein solcher Wegfall liegt jedoch vor, wenn die Entscheidung zur Ausreise durch Zwänge bedingt ist, die vom Willen des Betroffenen unabhängig sind, insbesondere wenn das UNRWA nicht in der Lage ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit seinem Schutzmandat im Einklang stehen. Dies betrifft Situationen, in denen sich der Betroffene in einer derart prekären persönlichen Lage befindet, dass das UNRWA seine Schutzaufgabe den Betroffenen gegenüber nicht mehr ordnungsgemäß gewährleisten kann69. Der Grund für diese Auslegung liegt darin, dass sich der Wegfall des UNRWA-Beistands nicht darauf reduzieren darf, dem Betroffenen lediglich die Möglichkeit zu eröffnen, seine Flüchtlingseigenschaft nach dem allgemeinen Verfahren der Qualifizierungsrichtlinie zu beantragen. Andernfalls würden Palästinaflüchtlinge, trotz ihrer spezifischen und vorteilhafteren Rechtsstellung, in die gleiche rechtliche Situation wie reguläre Asylbewerber versetzt, was dem besonderen Schutzgedanken dieser Personengruppe nicht gerecht würde.
Die folgenden Urteile des EuGH haben eine doppelte Dimension: Sie betreffen sowohl Fragen der Sicherheit als auch die Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen. So hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, einer beim UNRWA registrierten Person die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn ein Drittstaat ihr gestattet, sich in seinem Hoheitsgebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen so lange aufhalten zu können, wie es die im Gebiet ihres gewöhnlichen Aufenthalts bestehenden Gefahren erfordern. Konkreter gesagt ist im Fall einer bei der UNRWA registrierten Person, der von dieser Organisation in einem nicht ihrem gewöhnlichen Aufenthalt entsprechenden aber zum Einsatzgebiet der Organisation gehörenden Drittstaat tatsächlich Schutz oder Beistand gewährt wird, davon auszugehen, dass ihr in diesem Drittstaat ausreichender Schutz im Sinne der genannten Bestimmung gewährt wird. Dies setzt jedoch voraus, dass der Drittstaat sich verpflichtet, den Betroffenen nach dessen Antrag auf internationalen Schutz in der EU wieder aufzunehmen, den Schutz oder Beistand des UNRWA anerkennt und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung zustimmt. Nur dann kann gewährleistet werden, dass sich die betroffene Person so lange in Sicherheit und unter menschenwürdigen Bedingungen aufhalten kann, wie es die im Gebiet des gewöhnlichen Aufenthalts bestehenden Gefahren erfordern.70.
Auf dieser Grundlage vertrat der Conseil d’État die Auffassung, dass bei einem Palästina-Flüchtling, der sich außerhalb des Tätigkeitsgebiets des UNRWA befindet, in folgenden Fällen davon auszugehen ist, dass er den Schutz oder Beistand dieser Organisation nicht mehr genießt: wenn ein Palästina-Flüchtling durch eine ernsthafte Gefahr für seine Sicherheit gezwungen wurde, den Staat oder das Einsatzgebiet des UNRWA, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zu verlassen, und seine Rückkehr dorthin verhindert; wenn eine solche Gefahr, die nach der Ausreise des Betroffenen aufgetreten ist, ebenfalls seiner Rückkehr an Ort und Stelle entgegensteht; schließlich ist es einem palästinensischen Flüchtling nicht möglich, aus von seinem Willen unabhängigen Gründen, die mit dem Vorliegen einer Sicherheitsgefahr nichts zu tun haben, in den Staat oder das Gebiet zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Darüber hinaus berücksichtigt der Conseil d’État, in Anlehnung an die Anforderungen aus Art. 8 EMRK, der u. a. Staatenlose vor übermäßigen Eingriffen in das Recht auf Achtung des Privatlebens schützt, einen weiteren Fall: Ein Palästina-Flüchtling kann die Flüchtlingseigenschaft erhalten, wenn er in Frankreich, insbesondere unter Berücksichtigung der Dauer seines Aufenthalts im französischen Hoheitsgebiet, familiäre oder persönliche Bindungen aufgebaut hat, sodass sich sein Lebensmittelpunkt nunmehr dort befindet71. Auch wenn die Wahrung der Menschenwürde in der Begründung dieser Lösung nicht ausdrücklich erwähnt wird, bestimmt sie dennoch unmittelbar die Abweichung von den allgemeinen Kriterien für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Diese Feststellung trifft umso mehr auf die jüngere Rechtsprechung des EuGH zu. Demnach gilt der Schutz oder Beistand des UNRWA als nicht länger gewährt, wenn diese Organisation einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft den Zugang zu medizinischer Versorgung und Behandlung nicht gewährleisten kann, insbesondere dann, wenn ohne diese Versorgung eine tatsächliche unmittelbare Lebensgefahr, die tatsächliche Gefahr einer ernsten, raschen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands oder einer erheblichen Verkürzung seiner Lebenserwartung droht. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der Betroffene gezwungen war, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen72. Die Lösung, die im vorliegenden Fall die Unmöglichkeit einer – auch komplexen – Behandlung einer seltenen Krankheit betrifft, besteht darin, bei der Gewährung internationalen Schutzes das Kriterium zu übernehmen, das der EGMR auf der Grundlage des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Bereich der Abschiebung von Ausländern73 aufgestellt hat. Dieses Kriterium wurde bereits in früheren Entscheidungen vom EuGH übernommen74. Angesichts der besonderen Rechtsstellung der Palästinaflüchtlinge wäre es jedoch überzogen, in dieser Rechtsprechung einen allgemeinen Anspruch auf die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft allein aufgrund der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Menschenwürde des Antragstellers zu sehen. Es ist dennoch bemerkenswert, dass gerade bei Gesundheitsrisiken die Menschenwürde des Asylbewerbers unabhängig von den üblichen Anforderungen an das Vorliegen einer Verfolgung geschützt werden muss.
Die Fragen zu den materiellen Aufnahmebedingungen, zur Überstellung in den für die Prüfung des Antrags nach der Dublin-III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat und zu den Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes verdeutlichen, dass die Wahrung der Menschenwürde ausdrücklich oder implizit, gegebenenfalls über das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, eine zentrale Rolle bei der Rechtsprechung spielt. Dabei zeigt sich in gewissem Maße eine Konvergenz zwischen der europäischen und der französischen Rechtsprechung. Allerdings variiert diese Annäherung je nach Bereich sowohl in ihrer Reichweite als auch in ihrer Dynamik, und in einigen Fragen bleibt sie auch nur teilweise bestehen.
Diese Unterschiede lassen sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Materielle Gegebenheiten können eine gewisse Zurückhaltung auf nationaler Ebene erklären – beispielsweise im Bereich der materiellen Aufnahmebedingungen. Zudem beeinflussen die jeweiligen Aufgaben der betreffenden Gerichte die unterschiedlichen Ansätze. So ist bei der Würdigung der tatsächlichen Voraussetzungen, die für die Überstellung einer Person in den nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaat relevant sind, zu bedenken, dass die nationalen Gerichte, insbesondere die Tatsacheinstanzen, sich mit spezifischen Rechtsstreitigkeiten befassen. Diese erfordern individuelle Beurteilungen von Fall zu Fall, während die europäischen Gerichte, insbesondere der EuGH, zuvörderst – im Wesentlichen mit allgemeinen Orientierungshilfen – über die Kohärenz der Auslegung und die Anwendung des Rechts in allen Mitgliedstaaten wachen müssen.
Diese Studie hat auch gezeigt, dass bei einigen Fragen die europäische und die nationale Lösung trotz anfänglicher Divergenzen sich letztlich aneinander annähern. Dies gilt insbesondere für die Voraussetzung der Gewährung internationalen Schutzes. In den kommenden Jahren wird es darauf ankommen, dass die europäischen und die französischen Gerichte kontinuierlich und geduldig nach harmonischen Lösungen suchen, um den vielfältigen Herausforderungen gerecht zu werden und die Menschenwürde der Asylbewerber zu wahren.
- Für einen allgemeinen Überblick über den Status der Asylbewerber in Frankreich, T. Fleury Graff/A. Marie, Droit de l’asile, 2. Aufl., 2019, S. 73-140. [↩]
- Vgl. RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. 2011, L 337, S. 9). [↩]
- Dies gilt für Personen, deren Antrag stattgegeben wurde, auch wenn die Flüchtlingseigenschaft oder der internationale Schutz später zurückgenommen oder endgültig abgelehnt wurde. [↩]
- Vgl. hierzu Art. 1 GRCh. Die Achtung der Menschenwürde gehört auch zu den Werten, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind und auf die sich die Europäische Union gründet. Im französischen Recht ist der Grundsatz der Wahrung der Menschenwürde ein Grundsatz mit Verfassungsrang (Conseil constitutionnel, Beschluss Nr. 94-343/344 DC vom 27. Juli 1994). [↩]
- Vgl. Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh. [↩]
- Siehe insb. J.-M. Sauvé, Dignité humaine et juge administratif, Beitrag im Rahmen des Kolloquiums, das anlässlich des 90. Jahrestags der Errichtung des Tribunal administratif de Strasbourg veranstaltet wurde (Verwaltungsgericht Straßburg, 27. 11.2009, https://www.conseil-etat.fr/publications-colloques/discours-et-interventions/dignite-humaine-et-juge-administratif); P. Cossalter, La dignité humaine en droit public français: l’ultime recours, Vortrag an der Universität Panthéon-Assas, 30.10.2014, https://www.revuegeneraledudroit.eu/blog/2014/11/06/la-dignite-humaine-en-droit-public-francais-lultime-recours. Alle Links wurden zuletzt abgerufen am 29. Februar 2024. [↩]
- Die Erwähnung der Würde ist manchmal banal, wie in Artikel R. 532-38 des EWSA, der u. a. bestimmt, dass Personen, die an den mündlichen Verhandlungen am Nationalen Gerichtshof für Asylrecht teilnehmen, ein menschenwürdiges Verhalten verfolgen und die gebotene Achtung der Justiz wahren müssen. [↩]
- RL 2011/95/EU (Fn. 2). [↩]
- RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung) (ABl. 2013, L 180, S. 60). [↩]
- Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung) (ABl. 2013, L 180, S. 96). [↩]
- Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung) (ABl. 2013, L 180, S. 31). [↩]
- Vgl. den 16. Erwägungsgrund der Qualifizierungsrichtlinie; den 60. Erwägungsgrund sowie Art. 13 Abs. 2 Buchst. d und Art. 25 Abs. 5 der Verfahrensrichtlinie; Erwägungsgründe 11, 18, 25 und 35 sowie Art. 20 Abs. 5 der Aufnahmerichtlinie; 24. Erwägungsgrund und Art. 29 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung. [↩]
- Vgl. für Minderjährige Art. 23 Abs. 4 der Aufnahmerichtlinie. [↩]
- Zu der Gesundheitsversorgung vgl. Art. 30 dieser Richtlinie. [↩]
- Vgl. auch Art. 38 sowie die Erwägungsgründe 31 und 42 dieser Richtlinie. [↩]
- Siehe Teil B dieser Studie. [↩]
- L. Burgorgue-Larsen, La dignité dans la jurisprudence de la Cour européenne des droits de l’Homme, in : Burgorgue-Larsen (Hrsg.), La dignité saisie par les juges en Europe, 2010, S. 55-78, S. 55. [↩]
- S. Barbou des Places, Au-delà de la casuistique ? La part de la Cour de justice dans la construction du droit des migrations de l’Union européenne, Titre VII, 2021/1, Nr. 6, S. 50-57, S. 51. Vgl. N. Bacic Selanec/D. Petrić, Migrating with dignity: conceptualising human dignity through EU migration law, EUConst, 2021, 498. [↩]
- Neben dem Asylrecht z. B. bilden seit den 2000er Jahren die Würde oder das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung Lösungen der Rechtsprechung, die die Erteilung von Aufenthaltstiteln „Privatleben und Familien“, humanitären Aufenthaltstiteln aus gesundheitlichen Gründen oder als Staatenloser erlauben. [↩]
- Cour de cassation, Kammer für Strafsachen, 30.01.2018, Nr. 17-81.624. [↩]
- Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie. [↩]
- EuGH, Urt. v. 14.01.2021, Rs. C‑322/19 und C‑385/19 (The International Protection Appeals Tribunal u. a.). [↩]
- EuGH, Urt. v. 27.09.2012 – Rs. C‑179/11 (Cimade und GISTI). [↩]
- Conseil d’État, 20.10.2009, Nr. 332631 (M. und Frau Mirzoian). [↩]
- Conseil d’État, 13.08.2010, Nr. 342330 (Mbala Nzuri). [↩]
- Conseil d’État, 25.01.2011, Nr.345800 (Chakraboty) verfügt. [↩]
- EGMR, Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09 (M. S. S./Belgien und Griechenland). [↩]
- EGMR, Urt. v. 8.12.2022, Nrn.34349/18, 34638/18 und 35047/18 (M. K. u. a./Frankreich). [↩]
- EuGH, Urt. v. 27.02.2014 – Rs. C‑79/13 (Saciri u. a.). [↩]
- Conseil d’État, 23.12.2016, Nr. 394819 (Cimade). [↩]
- Conseil d’État, 17.01.2018, Nr. 410280 [↩]
- Conseil d’État, 11.12.2019, Nr. 422857. Außerdem kann ein Mitgliedstaat, wenn er sich dafür entschieden hat, die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen in Bezug auf eine Wohnung in Form einer Geldleistung zu gewähren, deren Gewährung davon abhängig machen, dass dem Antragsteller tatsächlich Wohnkosten entstanden sind. Wenn der Antragsteller über familiäre, freundschaftliche oder assoziative Netzwerke unentgeltlich über eine Unterkunft oder eine Unterkunft verfügt, wird ihm die finanzielle Beihilfe somit nicht geschuldet, solange die Unentgeltlichkeit der Unterkunft oder der Unterkunft besteht. [↩]
- EGMR, Urt. v. 2.07.2020, Nr. 28820/13 (N. H. u. a./Frankreich). [↩]
- EuGH, Urt. v. 12.11.2019 – Rs. C‑233/18 (Haqbin). Diese Lösung wurde in jüngerer Zeit bestätigt (EuGH, Urt. v. 1.08.2022 – Rs. C‑422/21 (Ministero dell’Interno) [Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen]). [↩]
- Diese Bestimmung stammte aus dem Dekret Nr. 2018-1359 vom 28.12.2018. [↩]
- EGMR, M. S. S./Belgien und Griechenland (Fn. 27). [↩]
- „Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.“ [↩]
- EuGH, Urt. v. 21.12.2011 – Rs. C‑411/10 und‑C 493/10 (N. S. u. a), Rn. 82 und 83. [↩]
- EuGH, Urt. v. 10.12.2013 – C‑394/12 (Abdullahi). [↩]
- EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – Rs. C‑163/17 (Jawo). Die gleiche Lösung wurde im Bereich des subsidiären Schutzes gewählt (EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – Rs. C‑297/17, C‑318/17, C‑319/17 und C‑438/17 (Ibrahim u. a.). [↩]
- Tribunal administratif de Paris, 25.05.2009, Nr. 0908427. [↩]
- Conseil d’État, 24.03.2005, Nr. 278805 (Hassan-Mohamed); 14.05.2009, Nr. 327792 (Diallo); 30.09.2009, Nr. 332310 (Pashe). [↩]
- Conseil d’État, 1.03.2010, Nr. 336857 (Tahir); 20.05.2010, Nrn. 339478 und 339479 (M. und O.). [↩]
- EGMR, Urt. v. 11.06.2009, Nr. 53541/07 (S. D./Griechenland); 21.10.2014, Nr. 16643/09 (Sharifi u. a./Italien und Griechenland). [↩]
- Im Jahr 2014 stellte der EGMR fest, dass die Rückführung einer afghanischen Familie nach Italien angesichts der Mängel, die das italienische System der Notaufnahmezentren für Flüchtlinge aufweise, insbesondere hinsichtlich der an das Alter der Kinder angepassten Betreuung und im Hinblick auf die Wahrung des Grundsatzes der Einheit der Familie, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle ((EGMR, 4.11.2014, Nr. 29217/12 (Tarakhel/Schweiz). [↩]
- Nach Ansicht der Cour administrative d’appel von Nantes stand die Situation in Italien der Überstellung nicht entgegen, außer in besonderen Fällen, die eine Mutter betrafen, die von ihrer sehr jungen Tochter und ihrer Nichte begleitet wurde, die alle drei an einer schweren Atemwegserkrankung litten (22.12.2017, Nr. 17NT02239), oder die eine Person betrafen, die an chronischer Hepatitis B und einem Herzfehler litt, die unbedingt die Fortsetzung der in Frankreich durchgeführten Untersuchungen und der medizinischen Betreuung erforderten (21.09.2018, Nr.17NT01285). Dagegen erklärte das Tribunal administratif de Paris (Verwaltungsgericht Paris) eine Überstellung nach Italien wegen der Schwierigkeiten für nichtig, auf die die italienischen Behörden bei der Bearbeitung von Asylanträgen unter Bedingungen gestoßen waren, die sämtlichen Garantien entsprechen, die die Beachtung des Asylrechts verlangt, und ihrer Entscheidung, Migranten, die Asyl beantragen wollen, die Einreise in ihr Hoheitsgebiet zu verweigern (25.06.2018, Nr. 1807362). [↩]
- Tribunal administratif de Rouen, 29.03.2011, Nr. 1100950. [↩]
- Conseil d’État, 7.07.2011, Nr. 350369 (Nelson). [↩]
- Dieser Mitgliedstaat registrierte 2022 nur 45 erste Asylanträge (Rat der Europäischen Union, Asylanträge in er EU, https://www.consilium.europa.eu/fr/infographics/asylum-applications-eu/; Vgl. hierzu die Urteile EuGH, Urt. v. 17.12.2020 –Rs. C 808/18 (Kommission/Ungarn [Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen]) und EuGH, Urt. v. 22.06.2023 – Rs. C 823/21 (Kommission/Ungarn [Absichtserklärung im Vorfeld eines Asylantrags]). [↩]
- Die cours administratives d’appel von Bordeaux und von Nantes folgten einer Analyse, die zur Aufhebung von Überstellungsentscheidungen führte (Bordeaux, 27.09.2016, Nr. 16BX00997; Nantes, 19.10.2016, Nr. 16NT00171; 21.09.2018, Nr. 17NT02328). Die cours administratives d’appel von Lyon und von Versailles hielten die entgegengesetzte Position fest (Lyon, 31. Mai 2016, Nr. 15LY03569; 13.12.2016, Nrn. 15LY02193, 16LY02285 und 16LY02818; Versailles, 28.06.2017, Nr. 16VE02239). [↩]
- EuGH, Urt. v. 16.02.2017 – Rs. C.‑578/16 PPU (C. K. u. a.). [↩]
- EuGH, Urt. v. 5.04.2016 – Rs. C‑404/15 et C‑659/15 PPU (Aranyosi et Căldăraru). Vgl. jedoch in Bezug auf die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, EuGH, Urt. v. 18.04.2023 – Rs. C 699/21 (E. D. L. (Ablehnung aus gesundheitlichen Gründen). [↩]
- Conseil d’État, 11.10.2011, Nr. 353006 (Artchakov und Artchakova), wo der Nachweis erbracht wurde, dass der Gesundheitszustand des Antragstellers mit einer Reise in das Rückreiseland unvereinbar gewesen wäre oder dass es in diesem Land keine notwendige Behandlung gab. [↩]
- Z. B. Conseil d’État, 1.08.2023, Nr. 476413; Tribunal administratif von Paris, 16.02.2024, Nr. 2401097. [↩]
- Cour administrative d’appel von Paris, 28.06.2018, Nr. 18PA00145. [↩]
- Conseil d’État, 28.05.2021, Nr. 447956. [↩]
- EuGH, Urt. v. 30.11.2023 – Rs. C‑228/21, C‑254/21, C‑297/21, C‑315/21 und C‑328/21 (Ministero dell’Interno u. a. [Gemeinsames Merkblatt – Mittelbare Zurückweisung]); Urt. v. 29.02.2024 – Rs. C‑392/22 (Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Gegenseitiges Vertrauen im Fall einer Überstellung]). [↩]
- Nach Art.1 Abschnitt A Abs. 1 Nr. 2 dieses Abkommens gilt der Begriff „Flüchtling“ für jede Person, „die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“. [↩]
- Art. 15 Buchst. b der Qualifizierungsrichtlinie. [↩]
- Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Collins vom 13.07.2023 in der Rs. C‑646/21 (Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Personen, die sich mit den Werten der Union identifizieren]). [↩]
- EuGH, Urt. v. 5.09.2012 Rs. C‑71/11 und C‑99/11 (Y und Z). [↩]
- Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 19.04.2012 in den verbundenen Rs. C‑71/11 und C‑99/11 (Y und Z) Nr. 100. [↩]
- CNDA, 13.05.2022, Nr. 22000728. Ein weiteres Land, in dem homosexuelle Personen beispielsweise eine soziale Gruppe bilden, ist Afghanistan (CNDA, 8.06.2022, Nr. 21050501). Zum Begriff der sozialen Gruppe, im vorliegenden Fall dem Begriff aller Frauen eines Landes oder einer Gruppe von Frauen mit bestimmten Merkmalen, vgl. EuGH, Urt. v. 16.01.2024 – Rs. C‑621/21 (Intervyuirasht organ na DAB pri MS [Frauen als Opfer häuslicher Gewalt]). [↩]
- EuGH, Urt. v. 2.12.2014 – Rs. C‑148/13 bis C‑150/13 (A u. a.). [↩]
- Was im Übrigen speziell den Gazastreifen betrifft, hat der nationale Gerichtshof für Asylrecht im Rahmen von Ereignissen nach dem 7. Oktober 2023 eine Situation willkürlicher Gewalt von außergewöhnlicher Intensität anerkannt. Somit läuft ein Asylbewerber allein durch die Anwesenheit als Zivilperson tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt zu sein, was einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Qualifizierungsrichtlinie (CNDA, 12.02.2024, Nr. 22054816) darstellt. [↩]
- CNDA, 25.07.1996, Nr. 247249, unter der Geltung der RL 2004/83, deren Art. 12 Art. 12 entspricht und Art. 12 der RL 2011/95 entspricht. [↩]
- Conseil d’État, 22.11.2006, Nr. 277373 (OFPRA); CNDA, 14.05.2008, Nr. 493412. [↩]
- Conseil d’État, 23. Juli 2010, Nr. 318356 (OFPRA). [↩]
- EuGH, Urt. v. 19.12.2012 – Rs. C‑364/11 (Abed El Karem El Kott u. a.). [↩]
- EuGH, Urt. v. 25.07.2018 – Rs. C‑585/16 (Alheto). Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte, zu prüfen, ob die Ausreise des Antragstellers aus dem Einsatzgebiet des UNRWA durch von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt war (EuGH, Urt. v. 3.03.2022 – Rs. C‑349/20 (Secretary of State for the Home Department) [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft]). Bei der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNWRA gegenüber einer Person, der er zuvor zugutegekommen ist, nicht länger gewährt wurde, müssen die nationalen Gerichte oder zuständigen Verwaltungsbehörden alle Operationsgebiete des UNWRA berücksichtigen, in denen der Antragsteller tatsächlich Zugang zu deren Schutz oder Beistand hätte (EuGH, Urt. v. 13.01.2021 – Rs. C‑507/19 (Bundesrepublik Deutschland) [Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft]). [↩]
- Conseil d’État, 24.12.2019, Nr. 427017 (OFPRA). [↩]
- EuGH, Urt. v. 5.10.2023 – Rs. C‑294/22 (OFPRA (Flüchtlingseigenschaft eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft). [↩]
- EGMR, Urt. v. 13.12.2016, Nr. 41738/10 (Paposhvili/Belgien). [↩]
- EuGH, Urt. v. 22.11.2022 Rs. C‑69/21 (Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid (Ausweisung – Therapeutisches Cannabis). [↩]
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